G wie Gelassenheit

„Ich wäre gern gelassener. Ich rege mich so schnell auf und reagiere unverhältnismäßig.“ Solche oder so ähnliche Anfragen erreichen mich oft. Was ja nicht weiter verwunderlich ist, da ich mit meinen Angeboten, sei es die Kloster-Auszeit oder ein Einzelcoaching für mehr Gelassenheit im Beruf und Alltag stehe.

„Relax your work“ ließ ich als Slogan bereits 2009 beim Patent- und Markenamt eintragen. Damals schon kamen Menschen mit dem Anliegen nach einem besseren Zeitmanagement und mehr Ausgeglichenheit zu mir, die Anfragen nehmen weiter zu.

Auch wiederum verständlich, denn die Geschwindigkeit der Welt um uns herum nimmt rasant zu und damit auch die Aufgeregtheit in unserem Inneren. Ich bin mir sicher, dass selbst ein engagierter buddhistischer Mönch (wenn er noch Kontakt zur Außenwelt pflegt) oder eine katholische Nonne sich zeitweilig nicht von den Gefühlen des Gestress-Seins oder der Überforderung frei machen können. Würde ich mich an den ruhigsten Ort der Welt zurückziehen, mich allerdings per Mail über die Ereignisse außerhalb meines gewählten Paradieses informieren, bräuchte ich auch dort hilfreiche Werkzeuge, um immer wieder eine Haltung von Gelassenheit einzunehmen.

Genau darin liegt die Kunst! Zu einer inneren Ruhe zurückkehren zu können, auch in trubeligsten Zeiten. Nicht darin, sich abzuschotten oder ins Private zurückzuziehen (der neueste Trend heißt jetzt ja Hygge…) und die Welt Welt sein zu lassen.

Wenn ich meinen Beruf liebe, mich Ungerechtigkeit nicht kalt lässt, sondern etwas beitragen möchte zum besseren Miteinander, dann rege ich mich auch auf, dann werde ich auch wütend, dann will ich auch das Wort erheben. Dafür sind wir Menschen mit Gefühlen ausgestattet und dafür leben wir unsere Werte.

„Es ist immer dieselbe Frage. Wann und wo beginnen wir Position zu beziehen?“

So beschreibt Audre Lourde den „Knackpunkt“ sehr richtig. Wann beginne ich mich einzumischen? Wann lasse ich es besser sein? Wann weiß ich, dass es sich lohnt eine Auseinandersetzung zu führen? Und wo befinde ich mich auf verlorenen Posten, macht es keinen Sinn oder sollte ich die Aufregung besser rasch wieder beruhigen? Wo übertrete ich mit meinem Verhalten Grenzen und mische mich in die Angelegenheiten von anderen ein, mache diese fälschlicherweise zu meinen?

Die vier Fragen von Byron Katie sind mir zu verlässlichen Gradmessern bei all diesen Abwägungen geworden. Sie lauten:

  • Ist das was ich denke, wirklich wahr?

  • Kann ich zu 100% sicher sein, dass mein Gedanke / mein Gefühl wahr ist?

  • Wer bin ich, wie fühle ich mich, wenn ich den Gedanken und Gefühlen glaube?

  • Wer wäre ich, wie würde ich mich fühlen, wenn ich die Gedanken und Gefühle nicht kennen würde?

 

In den Kloster-Seminaren und in Teamtrainings wende ich die vier Fragen gern an. Mit ihnen lässt sich jeder stressige Gedanke auf seinen Ursprung zurückverfolgen und auf seine Wichtigkeit hin überprüfen.

Ist es wirklich wahr, was ich über meine Kollegin denke? Ist sie tatsächlich so unzuverlässig, wie ich sie beurteile und weshalb ich mich oft über sie aufrege? Oder hat meine Abneigung gegen Unzuverlässigkeit irgendetwas mit mir selbst zu tun? Halte ich mich selbst möglicherweise für latent chaotisch, mag es jedoch nicht zugeben und reagiere deshalb allergisch auf Menschen, die sich eher kreativ-spontan organisieren?

Wie würde sich unser Verhältnis verändern, wenn ich von meiner Wertung ablasse? Würde ich – wenn ich einmal fünf gerade sein lassen könnte – nicht humorvoller, lockerer werden und könnte ich dann über die Schusseligkeit meiner Kollegin lachen? Könnte ich ihr in diesem entspannten Modus einen liebevollen Hinweis geben, dass mich ihr Verhalten manchmal stresst und ihr vorschlagen, gemeinsam eine Lösung zu finden ihr Zeitmanagement zu verbessern?

Jeder von uns ist im entspannten Modus ein umgänglicher, freundlicher Mensch, voller kreativer Lösungsansätze – und in stressigen Zeiten das Gegenteil: engstirnig, verbissen, wenig kooperativ.

Diese Weisheit sollten wir immer wieder berücksichtigen, wenn wir mit unseren Kolleg*innen oder Partner*innen aneinander ecken.

Stress wandelt unsere Stärken in Schwächen.

Und weil wir das i.d.R. wissen oder fühlen, haben wir auch das Bedürfnis nach mehr Ausgeglichenheit. Weil dann die Dinge besser laufen oder zumindest in die Richtung, die wir uns wünschen.

Wer einmal verstanden hat, dass nicht jeder Gedanke und jedes Gefühl wahr ist und es sich aus diesem Grund nicht lohnt, sie weiter zu verfolgen, erhält andere Ergebnisse.

Die Welt um einen herum ändert sich nicht, sie bleibt so chaotisch und unberechenbar wie sie nun einmal ist.
Aber ich habe gelernt mich in ihr zu bewegen ohne auszubrennen, ohne mich ständig aufzuregen. Ich entscheide jeden Tag neu, wo es sich lohnt, einen Konflikt zu führen und wann nicht. Ich entscheide immer wieder bestimmte negative Gedanken nicht mehr zuzulassen, weil ich begriffen habe, dass sie zu nichts führen außer zu Krisen.

In diesem Sinne verstehe ich Gelassenheit als eine sehr erwachsene Haltung, die dazu befähigt, den Kopf über Wasser zu halten, ganz gleich in welchem tosenden Gewässer ich gerade schwimme.