F wie Führung
Mein Vater war leitender Angestellter in einem Industriebetrieb. Ja, früher hieß das noch „leitender Angestellter“ und nicht Führungskraft oder Head of….
Mein Eindruck als Heranwachsende war, dass er irgendetwas mit Lenkung und Steuerung des Unternehmens zu tun hatte, aber nicht wirklich etwas mit Menschen. Außer mit den Gewerkschaftlern, über die er sich immer wieder aufregte, weil er Verhandlungen mit ihnen führen musste und die Vorstellungen oftmals weit voneinander entfernt lagen.
Ansonsten sprach er nicht von seinen Mitarbeiter*innen, irgendwie kamen sie nicht bei ihm vor.
Wenn mir heute eine Führungskraft gegenüber sitzt, dann sprechen wir den überwiegenden Teil unserer Zeit über Mitarbeiter*innen und darüber, wie man als Vorgesetzte*r am besten mit ihnen klar kommt. Das ist jetzt sehr salopp ausgedrückt, ich könnte auch all die gängigen Begriffe verwenden wie „Führungskompetenz“, „Integrative Führung“ … oder eine mehr oder weniger interessante Abhandlung über die Herausforderungen einer Führungskraft schreiben, aber dies ist ein blog und damit kein Fachartikel, mit dem ich mich profilieren will. Also bleibe ich beim „klar kommen“.
Neulich schrieb mir eine Chefin folgenden Satz:
„Im Team läuft es insgesamt gut, obwohl es immer deutlicher wird, dass die jeweiligen persönlichen alten Muster schwer zu verändern sind.“
Ist es nicht genau das, was die größte Herausforderung einer Führungskraft ist?
- Wie werde ich den verschiedenen Charakteren in meinem Team gerecht?
- Wie gehe ich auf jede Einzelne, jeden Einzelnen so ein, dass sie und er motiviert bei ihren Aufgaben bleiben?
- Wie viel Eigeninitiative kann ich voraussetzen, wie viel Kontrolle ist nötig?
- Wie gelingt es, dass sie als Team an einem Strang ziehen und ihre gemeinsamen Aufgaben bestmöglich erledigen?
Führungskräfte müssten eigentlich einen Kompaktkurs in Psychologie während ihrer Aufstiegszeit belegen.
In Wirklichkeit ist es jedoch so, dass die wenigsten auf ihre Aufgaben als „Menschen-Führende“ vorbereitet werden. Die meisten springen einfach ins kalte Wasser – oder wie die Kundin oben – entscheiden sich dazu, ein eigenes Unternehmen zu gründen, Personal einzustellen und eine teure Software anzuschaffen, die die Arbeitsprozesse steuert.
Um dann an einen ähnlichen Punkt zu gelangen, wie der Inhaber eines IT-Unternehmens, der Anfang des Jahres zu mir kam. Er wäre kein so kommunikativer Typ, auch kein geborener Chef, aber die Firma sei gewachsen und sein Kompanion öfter im Ausland unterwegs. Nun müsse er wohl lernen, wie man Mitarbeiter führe und sich als Chef Respekt verschaffe. Bislang wäre er eher der Kumpel-Typ gewesen, auch einer, der gern Konflikte vermeide.
Ob ich ihm das beibringen könne?
Es entspannten sich so wundervolle Gespräche zwischen uns, dass ich sie gern aufgezeichnet hätte.
Ein vormals schüchterner Mensch lernte im Laufe der Zeit:
-
vor einer Gruppe frei zu sprechen
-
Präsentationen zu halten
-
Konflikte anzusprechen und zu entschärfen
-
Ziele vorzugeben und das Team zu motivieren, sie zu erreichen
-
zwischen enger und lockerer Führung zu unterscheiden
-
sein Zeit- und Aufgabenmanagement zu optimieren
-
Small-talk auf Geschäftsessen zu führen.
Wie dies gelang?
Zuallererst durch seine Eigenmotivation. Dann durch seine Bereitschaft, seine bisherigen Verhaltensmuster in Frage zu stellen und neue auszuprobieren. Weiter war er bereit, über seinen Schatten zu springen, Unsicherheit (zum Beispiel bei Präsentationen) in Kauf zu nehmen und sich anschließend Feedback einzuholen. Letztlich überwand er seine Angst oder abgemildert gesagt: seine Scheu vor Menschen. Und sein Harmoniebedürfnis.
Er verstand, dass Missverständnisse der Normalfall in der Kommunikation sind und Konflikte zur Weiterentwicklung führen.
Er entwickelte soziale Kompetenz, eine der wichtigsten Führungskompetenzen überhaupt.